BIOGRAFIE
von Mathias Peter, Journalist und Leiter der Kellerbühne St.Gallen
anlässlich der Vernissage im Schloss Dottenwil
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„Sein Umgang mit diesem Material führt den Begriff Zeitung zu seinem
Ursprung zurück. Dieser bezeichnete nämlich eine einfache Nachricht,
bevor er auf ein periodisch erscheinendes Druckerzeugnis voller unzähliger Nachrichten angewendet wurde. Vaclav Elias nutzt in seiner künstlerischen Arbeit diese periodisch erscheinenden Druckerzeugnisse voller unzähliger Nachrichten zur Herstellung einfacher Nachrichten – figürlich gestalteter und philosophisch geprägter Nachrichten übers Menschsein – und führt so den Begriff zu seinem Ursprung zurück.
Aus textlichen und fotografischen Nachrichtenfluten formt er in sich
ruhende Figuren. Sie stehen da und blicken in die Welt. Sie sind im Hier und Jetzt verankert. Sie tun eine Sache aufs Mal. Die um Aufmerksamkeit heischenden globalen Informationen, aus denen sie geformt sind, gehen diese Figuren nichts an. Sie führen vor Augen, wie das Leben bewusst erfahren werden kann. Im jeweiligen bewusst wahrgenommenen Moment.
Die Figuren stehen da und blicken in die Welt. Gruppen, in einem warmen Lebensmoment eingefroren, öffnen Räume für Erinnerungen.
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Die Normalität fasziniere ihn, sagt Vaclav Elias beim Atelierbesuch.
Durch seine Figuren ganz normalen Lebensmomenten eine künstlerische Form zu geben, ist sein Anliegen. Dadurch bietet er der Betrachterin und dem Betrachter die Möglichkeit der Identifikation. Jede und jeder kann sich in jeglicher Situation wiederfinden.
Ganze Freundesgruppen lässt Vaclav Elias in seinen Ausstellungen
aufeinander treffen. Sechs Jahrgänger stehen vor einer Wand und
bringen in individuellen Posen ihr durch Lebenserfahrung geprägtes
Selbstverständnis zum Ausdruck. Oder einer trägt vier andere auf
seinen Schultern. Was entfernt als turnerische Pyramide anmutet trägt den ironischen Titel „Allein unter Freunden“. Fünf weitere Freunde sind beim Atelierbesuch noch im Rohzustand. Als bunt zusammengewürfelte Gleichgesinnte glänzen sie nun in der Ausstellung auf Stelen zusammenstehend als herausstechende heitere Farbtupfer. Wie Schnappschüsse von einer Ferienreise nehmen sich fünf weitere auf Stelen platzierte Einzelfiguren aus: Ein Junge, der stolz einen Schwertfisch hochhebt. Ein zusammenstehendes Paar. Ein Kaffee trinkender, rauchender
Franzose mit Beret. Und ein schnauzbärtiger Philosoph.
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Apropos Philosophie: Immer wieder stösst man auf Figuren mit Büchern. Vaclav Elias ist mit der Buchhändlerin Alexandra Elias verheiratet. Ihre Wohnung ist von Bücherwänden geprägt. Lesen ist für ihn und seine Frau eine der natürlichsten Formen der Welterfahrung. Wenn er lese, dann sehe er Bilder, laufe vor ihm ein Film ab, sagt er. Genau das drücken die meisten seiner lesenden Figuren aus. Dieses bedingungslose Eintauchen in eine Welt der Imagination.
Schauen Sie sich die beiden „Buchwanderer“ an, die auf einem Erfahrungsschatz gelesener Bücher lesend vorwärtsschreiten. Lebensgross schreitet die von ihrer Lektüre gefesselte „Buchwandlerin“ durch einen Sturm, der ihr Haar und Rock zur Seite weht, sie aber nicht vom Geschriebenen abzulenken vermag. Ein „Buchkritiker“ steht da, in beiden Händen je ein Buch, diese möglicherweise unschlüssig in ihrer Qualität gegeneinander abwägend.
Und schliesslich steht da noch ein Mann mit einem locker unter den
Arm geklemmten Buch. Irgendwie wirkt er nicht wie ein Leser. Eher
wie einer, der ein Buch spazieren führt. Und siehe da, der Titel lautet
„Schreibblockade“. Ein Autor also, der seinen eigenen Roman bei sich
trägt und so jovial überdeckt, dass ihm nach dessen Erfolg nichts Neues mehr einfallen will?
Hypothesen, vom Künstler angestossen, aber nicht ausformuliert. Die
Ausstellung steckt voll davon. Sie springen die geneigten Betrachterinnen und Betrachter in einer faszinierenden Vielzahl an.
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Seine Arbeit gründe sich auf Beobachtung und Erfahrung, sagt Vaclav Elias. Nur ganz selten auf Vorlagen. Diese hat er eigentlich nur nötig, wenn er Urhebern von Büchern die Referenz erweist.
In Vaclav Elias Werk finden sich immer wieder Hommagen an Grosse
der Literatur, zu denen er eine Nähe spürt. In dieser Ausstellung begegnen Sie lebensgross dem irischen Romancier James Joyce und dem französischen Dichter und Chansonnier Jacques Prévert. Beide rauchen übrigens. Joyce hält die Zigarette stehend in der Hand, die Augen hinter den dunklen Gläsern seiner Brille verborgen. Prévert, der in einem Pariser Park vor einem „ballon de rouge“ sitzt, seinen Hund zu Füssen, hat sie zwischen die Lippen geklemmt. Klein und dünn vor einer bedrohlich wirkenden Wand aus Zeitungsschnipseln begegnen Sie ausserdem noch dem Prager „Hungerkünstler“ Franz Kafka.
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Ich bin vom verwendeten Material für diese Figuren, der Zeitung, ausgegangen. In einem dreiteiligen Werk wird dieses Material auch in der Ausstellung reflektiert. „Der rote Faden“ heisst das Triptychon, das drei Figuren vor fremdländischen Zeitungsauschnitten zeigt. Quer über die arabisch, tamilisch und japanisch geschriebenen Artikel zieht sich ein roter Faden. Wie alle Werke der Ausstellung ist auch dieses für viele Deutungen offen: Stehen da verschiedene Menschen vor der Hintergrund gleicher globaler Informationen in verschiedenen Sprachen?
Oder sind sie von ideologisch vollkommen unterschiedlichen Welterklärungen geprägt? Welche Rolle spielen die medialen Nachrichten im Leben dieser Menschen beziehungsweise in unserem persönlichen Leben?
Und wie fühlt sich Menschsein losgelöst vom Hintergrund all dieser
medialen Informationen an?
Mit seinen aus Zeitungen hergestellten figürlichen Pappmaché-Arbeiten schafft es Vaclav Elias, etwas von diesem von aller medialen Information losgelösten Menschsein zu vermitteln. Um dies zu erfahren, brauchen Sie sich nur davor zu stellen und die Figuren auf sich wirken zu lassen. Sie stehen da und blicken in die Welt. Sie sind im Hier und Jetzt verankert. Sie tun eine Sache aufs Mal. Sie führen vor Augen, wie das Leben bewusst erfahren werden kann. Im jeweiligen bewusst wahrgenommenen Moment.“
Mathias Peter, Journalist und Leiter der Kellerbühne St.Gallen
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